Camillo Schneider: In der Heimat unserer Gartenpäonie, Österreichische Gartenzeitung, 9:281-283 (1914)

OCR-Scan und Kommentar von Dr.Carsten Burkhardt, Kolkwitz 2002

Wir hatten während der Nacht mit unserer Karawane in Hun ka, einem Mosodorfe, in dem ziemlich großen Hause des Ortschefs gerastet, wo mich die zahllosen Fliegen bereits um 5 Uhr früh aus unruhigem Schlummer weckten. Wie gewöhnlich dauerte es bis gegen 8 Uhr, ehe unsere 31 Tiere, und mit den diversen Führern und Begleitern 25 Leute in Marsch kamen. Der Ort liegt bei etwa 2700 m, und unser Weg ging zunächst, an einer sonnigen Lehne in sehr steilen Serpentinen hinauf, so daß die Pferde und Menschen keuchten. Gleich hinter dem Dorfe trat eine schöne gelbe oder etwas rotgelbe Jncarvillea Delavayi auf, wenigstens glaube ich die Form ist vom roten Typ und durch die schöne fast schwefelgelbe Farbe abweichend. Noch vor dem Plateau kreuzten wir ein Stück Laubholzurwald mit Bambusdschungeln. Hier wuchsen im Schatten Paris, Smilacineen und sonst recht wenige Stauden. Das Hauptgehölz waren immergrüne Eichen, Rhododrendren, dann einige Ahorn, Prunus, 2 Sorbus (Aucuparia-Gruppe), ferner Ribes, Lonicera, Salix u. dgl. Auf einem Grashang am Walde bildete eine kleine Stauden-Rubus förmliche Teppiche. Und hier trat sie auf: die Stammform unserer Stauden-Paeonie.

Ich will nicht beschwören, daß es die echte wilde chinensis ist, aber sie gehört sicherlich in den Kreis derer, aus denen die chinesischen Paeonien unserer Gärten in erster Linie hervorgingen. Zuerst fanden wir sie als einzelne verstreute Sträucher in der Hochwiese. Etwa 50 bis 70 cm hoch, die tief lila purpurnen Blumen breit offen über den Blättern, nur leicht nach unten gewendet. Viel schöner als ihre hier ebenfalls häufige strauchige Schwester, die ihre kleinen, schwarzpurpurnen Blüten unter dem Blattwerk verbirgt. Ganz wie die gelbe Paeonia Delavayi, der sie gewiß sehr nahe steht. Von der Strauchform konnte ich Samen ernten, die in den noch grünen Kapseln schon ganz glänzend purpurrot waren. Die Staudenpaeonie war leider erst im Beginn der Blüte. Sie trat später in großen Trupps zwischen lichtem Gebüsch oder frei auf.

Das Plateau, zwischen etwa 3200 und 3600 m, war eine der reichsten Stellen, die wir bisher durchzogen. Lichte Gebüsche von immergrünen Eichen, Sorbus, Cotoneaster, Acer, Ribes, Cerasus, Syringa, Ligustrum, Berberis, Loniceren, Kolkwitzia, Weiden, Rosen, Clematis, Daphne, wechselten mit Fichtengruppen, Juniperus und Rhododendren. Dazwischen Graswiese oder Steppe mit tausenden von gelben Caltha, kleinen, weißen oder bläulichen Anemonen, kleinen blauen Enzianen, tiefroten Jncarvillea grandiflora. Dann vor allem zu nennen eine schöne hohe weiße Anemone, an narcissiflora etwas gemahnend, in vollster Blüte. Gelegentlich kleine Trupps eines niedrigen violetten asternartigen Strauches und einer ganz ähnlich blühenden Staude. Hie und da stand eine kleine gelbe, nickende Lilie im Grase, prangte ein Trupp einer rotvioletten duftenden Acanthacee, erhob sich auf schlanken Stengel eine dunkelviolette Akelei oder überzog den Boden die nie fehlende Fragaria mit ihren schönen aber trügerischen Früchten, die ganz trocken sind.

Mit das Schönste aber war im Gebüsch am weichem Moosgrund emporsprießend ein fast 50 cm hoher Lärchensporn (Corydalis) mit amethystblauen, ährigen Blüten! Ihm gesellten sich rosa Cardamine mit Fliederblättern, ein breites Allium und eine zierliche weißblütige Liliacee. Eine große Liliacee entwickelte Veratrum-artige Rispen.

Nicht vergessen darf ich zwei Pedicularis, die rote und rosa Flecke in den Grasteppich wirkten.All diese Blütenpracht umwob ein echter Sommertag. Tiefblauer Himmel mit weißen Wolken malerisch umzogen. Nur ein leises Lüftchen regte sich, und fast nichts deutete darauf hin, daß wir in die Regenzeit eingetreten waren.

Es war ein Tag, dessen Schönheiten hier im Hochgebirge man tief auskosten mußte.

Allein meine Stimmung war eine etwas gedrückte. Die Folgen des Genusses von schlechtem Wasser — woran wir hier oft leiden — trübten schon seit Tagen meine Reisefröhlichkeit und hinderten mich vor allem, alle Gelegenheiten zum Photographieren auszunutzen. Bilder für die Camera gab's so viele, aber jedes will in seiner Art gesehen und abgestimmt sein. Dazu gehört vor allem gute Stimmung, die ein schnelles, fröhliches Arbeiten erlaubt.

So konnte ich nur weniges im Fluge festhalten. Der Tagesmarsch war auch sehr lang und wir mußten unsere 1500 m wieder hinab, ins Flußthal, wo wir um 6 Uhr abends in strömenden Gewitterregen den Fluß übersetzten und müde die sehr primitive Raststätte in Wo lo ho erreichten, unfähig am Abend noch alle Beute dem Papier anzuvertrauen. Ich hatte 57 neue Nummern Herbar.

Diese Zeilen schreibe ich an einem Regentage im Mosoorte Tscho so (=Zuosuo), am See von Yungning (=Yongning in Sichuan - der See in der Kartenmitte), am 16. Juni 1914.



Bemerkung zur beschriebenen „echte wilde chinensis“ (Burkhardt 2002): In der angegebenen Lokalisation ist laut Flora of China (Hong et al. 2001) Paeonia mairei heimisch, wie die kleinen Karten beweisen:

in der Flora of China (Hong et al. 2001) angegebenes Verbreitungsgebiet von P. lactiflora Pall. (blauer Punkt = See von Yongning)

in der Flora of China (Hong et al. 2001) angegebenes Verbreitungsgebiet von P. mairei Lév.. (blauer Punkt = See von Yongning)